Wege zu einer verbesserten Beweglichkeit

Beweglichkeit: Fähigkeit zur Ausnutzung der Schwingungsweite der Körpergelenke bei Bewegungen der Alltags- und Sportmotorik
(Klee & Wiemann, „Dehnen: Training der Beweglichkeit“, 2. Aufl. 2012)

Eine gute Beweglichkeit (Mobility) macht dich nicht nur beim Laufen leistungsfähiger, sondern schützt dich auch vor muskulären Dysbalancen und letztlich vor Verletzungen. Gerade wir Läufer sind in der Regel ein gutes Beispiel für mangelnde Beweglichkeit. Da wird fleißig Kilometer um Kilometer gerannt und nach dem Training werden die Waden und die Oberschenkel, wenn überhaupt, kurz gedehnt, dann ab unter die Dusche und fertig. Der nächste Trainingslauf kann kommen. Vor dem Wettkampf sieht man dann etliche Läufer, die sich sonst so gut wie niemals dehnen, wie sie sich auf Teufel komm raus verrenken und an ihrer Beinmuskulatur herumzerren. Was sind die Konsequenzen daraus?

Nun, die Konsequenz eines übertriebenen Dehnens vor einem Wettkampf ist schlicht und einfach eine schlechtere Performance. Bei schnellem Laufen sollen die Muskeln schnell kontrahieren. Das gelingt ihnen nicht so gut, wenn sie vorher unnötig gedehnt, also in die Länge gezogen wurden. So weit so gut.

Viel gravierender sind aber die Konsequenzen einer fehlenden Beweglichkeit. Durch das Laufen werden die aktiven (Muskeln) und die passiven Strukturen (Sehnen, Bänder, Gelenke, Knochen) unseres Körpers starken Belastungen ausgesetzt. An diese Belastungen passt sich der Körper an, solange sie im physiologischen Rahmen liegen und solange der Bewegungsapparat geschmeidig bleibt. Kommt Sand ins Getriebe, indem bspw. durch viel Sitzen, falsche Körperhaltung und einseitige Belastungen muskuläre Dysbalancen, also Ungleichgewichte zwischen bestimmten Muskelgruppen (Agonisten und Antagonisten), entstehen, muss unser Körper diese durch Ausgleichsbewegungen kompensieren. Ausgleichsbewegungen haben mit „Geschmeidigkeit“ nichts mehr zu tun. Sie führen früher oder später zu Schmerzen und oft zur Verletzungen.

Typische Problembereiche bei Läufern sind:

  • Verkürzte Hüftbeuger (Iliopsoas -> M. Iliacus und M. Psoas major) / abgeschwächte Gesäßmuskulatur, Bauchmuskulatur und die Oberschenkelrückseite (Biceps Femoris)
  • Verkürzte und/oder verspannte Adduktoren / abgeschwächte Abduktoren
  • Verkürzte Wadenmuskulatur / abgeschwächte Schienbeinmuskel (M. Tibialis Anterior)
  • Verkürzte und/oder überlastete Achillessehnen / abgeschwächte Fußmuskulatur und/oder unbewegliche Sprunggelenke

Auf die mangels Fitness-/Krafttraining unterentwickelte Oberkörpermuskulatur, die sich insbesondere über die Rumpfmuskulatur direkt auf die oben genannten laufspezifischen Bereiche auswirkt, soll hier nicht weiter eingegangen werden.

Wie gehst du nun die obigen Schwachstellen an? Ein herkömmliches Stretching, ob nun aktiv oder passiv, statisch oder dynamisch, bringt dich nicht viel weiter. Durch Stretching ziehst du zwar die Muskeln etwas in die Länge und wirkst für einen relativ kurzen Augenblick beweglicher, diese ziehen sich aber nach kurzer Zeit wieder zurück. Wenn du vorher keine tiefe Kniebeuge geschafft hast, schaffst du sie dann immer noch nicht 😥 . Gegen lockere Dehnübungen nach einem Training im Rahmen des Cooldown ist prinzipiell nichts einzuwenden.

Viel effektiver als das Dehnen ist das Faszientraining, z.B. mit der Hartschaumrolle (z.B. Blackroll) und/oder Tennis- oder Lacrossebällen, in Verbindung mit der Mobilisation/ „Öffnung“ der betroffenen Gelenke bzw. Gelenkkapseln, insbesondere der Hüftgelenke. Das Thema Faszien ist zwar nicht neu, es wird aber derzeit immer „populärer“. Durch das Faszientraining wird das Gewebe elastischer und geschmeidiger. Verhärtungen und/oder Verklebungen werden gelöst bzw. beseitigt und die Muskeln und Sehnen können so besser „arbeiten“; sie sind gleitfähiger. Durch Mobilisiationsübungen wird der Arbeitswinkel in dem jeweiligen Gelenk ausgeweitet, das Gelenk wird wieder korrekt positioniert.

Ein Meister seines Fachs, was das Thema Mobilisiationstraining angeht, ist Kelly Starrett. Seine beiden, deutschsprachigen Bücher „Ready to Run“ und „Werde ein geschmeidiger Leopard“ sowie seine Homepage „www. mobiltywod.com“ sind uneingeschränkt empfehlenswert.

Ein weiterer Ansatz für das Beweglichkeitstraining ist die Kräftigung der geschwächten Muskelgruppen (Antagonisten) bei gleichzeitiger Entspannung bzw. „Dekontrahierung“ der verkürzten Muskelgruppen (Agonisten). Diesen Ansatz erläutert sehr anschaulich Jens Sprengel in seinem kürzlich erschienen Buch „Rückenschmerzen selbst behandeln, Die Korrektur muskulärer Dysbalancen zur Beseitigung und Vorbeugung von Rückenproblemen und anderen Störungen des Bewegungsapparates„. Er beschreibt anhand von 25 relativ leicht durchzuführenden Übungen, wie man die gesamte Beugerkette, die zur Verkürzungen neigt, effektiv dekontrahiert. Dass diese Kette bereits mit den Fingerbeugern beginnt und z.B. auch ein chronisch verspannter Unterkieferbeuger zu Rückneschmerzen führen kann, dürfte kaum jemandem bekannt sein.

Im nachfolgenden Video findest du ein Beispiel für ein effektives Beweglichkeitstraining in Bezug auf die Hüftbeuger. Dies zum einen, weil ich selbst davon betroffen bin und zum anderen, weil viele, insbesondere männliche Läufer dieses Problem auch haben dürften 🙁 .

Abschließend möchte ich noch auf das Thema Zeitaufwand eingehen. Man liest überall, wie effektiv/ effizient dies und jenes ist. Hier nur 4 Minuten, da nur 5 Minuten und alles ist super. Auch wenn es in Teilbereichen stimmen mag, sind beim Thema Beweglichkeit Abkürzungen nicht möglich. Du musst regelmäßig Zeit in deine Beweglichkeitsarbeit investieren, wenn du noch lange gesund und leistungsfähig bleiben möchtest. Ich bin mir sicher, es geht bei dem einen oder anderen auch ohne Beweglichkeitsarbeit lange Zeit gut, aber irgendwann erwischt es jeden, der diesen Punkt vernachlässigt. Deshalb ist mein Motto:

Lieber ein Paar Kilometer weniger laufen, dafür aber qualitativ hochwertiger,  als Kilometer zu bolzen und Gefahr zu laufen, sich eines Morgens alleine nicht mehr die Schnürsenkel zubinden zu können.
Die so „gewonnene“ Zeit  investiere ich lieber in die Beweglichkeitsarbeit 😉 .

Kelly Starrett propagiert mindestens 10 Minuten „Mobility-Arbeit“ täglich. Es ist mit Sicherheit ein guter Kompromiss. Ich bin der Meinung, dass du, je nachdem welche „Baustellen“ du hast, durchaus auch etwas länger an ihnen arbeiten solltest. Betrachte das als eine sinnvolle Investition in deine „bewegliche“ Zukunft!

Wie ist deine Meinung zum Thema Dehnen / Beweglichkeit? Was hilft dir am besten, um beweglich und möglichst verletzungsfrei zu bleiben. Teile uns deine Erfahrungen gerne mit. Über Kommentare freue ich mich!

Dein Peter Buchmann

 

Foto: Pixelio.de, © S. Hofschlaeger, “Spagat”.

3 Gedanken zu „Wege zu einer verbesserten Beweglichkeit“

  1. Interessanter Artikel, die empfohlenen täglichen 10 Minuten Beweglichkeitstraining wären bei mir gut in der Mittagspause einzuplanen. Somit würde ich keine „Freizeit“ verlieren und würde meinem bürostuhlgeplagten Rücken auch noch was Gutes tun. Da ich ein Einzelbüro habe, geht das auch ohne peinliche Auftritte. 🙂

    Ich dehne mich bisher immer nach dem Laufen. Vernachlässige ich das ein paar Trainingseinheit, merke ich das beim nächsten Mal schon. Fühlt sich alles etwas steifer an. Daher hätte ich gesagt, dass Dehnen nach dem Laufen schon was bringt. Aber erst seitdem ich mind. 30 Sekunden pro Dehnung investiere und wenn es nicht gut war, wiederhole ich nach anderen Dehnungseinheiten nochmal diese. Ich habe auch den Eindruck, dass ich so beweglicher geworden bin. So oder so fühle ich mich hinterher gut. Daher würde ich es weiterhin beibehalten.
    Die hier erwähnten Buchempfehlungen und Tipps werde ich mir mal anschauen. Vielen Dank!

    1. Hallo Regina,
      vielen Dank für deinen Kommentar. Wenn du die Möglichkeiten in der Mittagspause hast, kannst du sie natürlich auch nutzen; Glückwunsch. Nicht alles wird möglich sein (ein Couch-Strech wird eher schwierig), aber einige Mobilisiationsübungen werden schon gehen. Dass es uns „peinlich“ sein muss, wenn wir nicht so wie der Mainstream nur herumsitzen und von links nach rechts schleichen, ist schon etwas traurig. Aber ich kann das nachvollziehen.

      Frauen haben tendenziell weniger Probleme mit der Beweglichkeit als Männer. Das ist zumindest meine Erfahrung. Wenn du dich nach dem Dehnen besser fühlst, solltest du es auch beibehalten. Nur nach einem Wettkampf oder nach einer intensiven Trainingseinheit würde ich es lassen. Die Muskulatur weist nach einer intensiven Belastung ohnehin Mikrorisse auf. Dehnen kann das noch verschlimmern und eventuell sogar zu Muskelfaserrissen führen. Hier bietet sich eher eine Hartschaumrolle (Blackroll) an.

      Ich wünsche dir noch viel Spaß beim Laufen und dem anschließenden Dehnen!
      Viele Grüße
      Peter Buchmann

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